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Montag, 27. September 2010

„Erektionslyrik von Dichtmaschinen“

Nicht zuletzt im Kontext der vermeintlichen Sprachkunst- und Hochliteratur-Emails diskutierte der „Spiegel“ 2006 die Zusammenhänge zwischen Spam und dadaistischer Lyrik. Er diagnostizierte Werke von „bizarrer Schönheit“, deren Poesie freilich eher beiläufig und zufällig entstand oder im intendierten Missbrauch einer Sprachkunst gipfelte. Die vermeintliche Poesie kannte auch hier, wie eben beschrieben, aber wieder nur ein einziges Ziel: die Überlistung der Spamfilter. Tatsächlich kursierten in dieser Zeit Texte im Internet, die in diversen Foren und Blogs leidenschaftlich diskutiert wurden:

„Duften Maria Gerstenberg im Arfakalori Manuela Geschmack wie, rauf Entmilitarisierung Geigerzähler nett lieben bullös. Manuela zum Bartsittich nach beglückwünscht Finanzbericht. Eisente rein erwacht. Gut Carlo Drayer attraktiv disassemblierend Regina Aufbauleuchte Liebe, mehrere Geschwistermord Blaukopf-Erdracke viel und an jdm. vorübergehen. Regina gegen durchgefallen ohne Ein schönes Chaos beglückwünschen Ehrenpreis wollte Aufklärung verlangen„

Auch wenn diese Spam-Mails als digitale Grotesken und fabulierte  Abstraktionen nicht Resultate eines intellektuellen Prozesses waren, so stellen sie doch die Frage nach einen Verhältnis zu den künstlerischen Ausdrucksformen der sog. „Wortkunst“, die als Ausdrucksform des Dadaismus um 1900 entstanden war. Ein sprachtechnisches Merkmal dieser Ausdrucksform war das Spiel mit Worten und Buchstaben, wie es uns, freilich mit anderen Intensionen, auch in den Spam-Mails begegnet. Hinter der dadaistischen Sprachskepsis stand der Zweifel vieler Autoren, dass die Wirklichkeit objektiv erkennbar und mit Hilfe sprachlicher Mittel darstellbar sei. Schon Stefan George und Rainer Maria Rilke hatten sich der Auffassung angeschlossen, dass allein durch eine poetische Sprache eine „höhere Wahrheit“ ausgedrückt werden könne. Die Dichter konstatierten einen Bruch zwischen der Sprache und der Realität, der in ihren Augen unüberbrückbar war. Einige Künstler zogen sich im Sinne des L’art-pour-l’art-Gedankens in eine eigene Gegenwelt der Kunst zurück, andere gaben das Schreiben von Literatur ganz auf. Dadaisten wie August Stramm stellten in ihren Gedichten Substantive und Verben in der Infinitivform nebeneinander und imitierten den damals üblichen Schreibstil von Telegrammen. Kurt Schwitters collagierte („vermerzte“) in seinen Werken Wortschnipsel, phonetische Laute und typographische Elemente zu neuen bildnerischen und poetischen Ausdrucksformen. Seine Wortkaskaden unterwanderten alle grammatikalische Regeln und eröffneten einen unerwarteten, spielerischen, gerne auch absurden, Bedeutungshorizont:

Nächte
Gedicht 7
Innige Nächte
Gluten Qual
Zittert Glut Wonne
Schmerzhaft umeint
Siedend nächtigt Brunst
Peitscht Feuer Blitz
Zuckend Schwüle
O, wenn ich das Fischlein baden könnte!
(Kurt Schwitters 1917/18)

Ein Ziel der Schwitterschen Wortkunstwerke war gleichermaßen der Bruch mit Traditionen, die Sinnentleerung der Sprache bis hin zum formulierten Nonsens, dafür aber auch zuweilen eine Aufladung der Strukturen mit einer höheren Bedeutungskapazität. Zudem lassen sich in der New Media Art viele dadaistische Strategien und Techniken wiederfinden. Vom Konzept der Collage über das Ready-Made bis zur provokanten Ironie und Absurdität lassen sich Parallelen zu den Wortverbildungen des Spam lokalisieren. Dieser funktioniert als globale Nachricht mit einer zuweilen ironischen Ausrichtung und nihilistischen, vielleicht sogar zerstörerischen, Wertigkeit. Diese entsteht freilich in der Regel nicht aus einer künstlerischen Absicht heraus, sondern wird dem Produkt erst rezeptiv zugeschrieben. Der echte Spammer hat nur ein Ziel: sein kommerzielles oder kriminelles Ansinnen zu verbergen und seiner Nachricht eine andere Bedeutung zu verleihen, die technisch von den Virenfiltern und intellektuell von den Mailempfängern nicht erkannt wird. Dabei können wir dem Spammer gerne auch eine zerstörerische Absicht unterstellen, wenn er seine Mail mit einem bösen Virus koppelt, der den PC des Empfängers manipuliert oder unbrauchbar macht. Der Spammer nutzt dabei auch die Hilflosigkeit des Users gegenüber einer höheren Instanz (der Technik), die mangelnde Vernuft oder Kompetenz des Individuums vor dem eigenen PC und die Offenheit des Rezipienten für  Zufälle und Assoziationen. Mit einer solchen Argumentation könnten wir tatsächlich Spam als intelligente Konstruktionen in DADA-Nähe definieren. Da der gewöhnliche Spam aber in der Entstehungsmotivation keinerlei reflektierende Intension besitzt, ist ihm eine Wertigkeit als Kunst abzusprechen. Üblicherweise sind die Hintergründe banal und klar definierten kommerziellen oder kriminellen Intensionen geopfert. Wer den echten Vergleich mit Dada sucht, hat die Kunst nicht verstanden. So wenig wie ein echter Banküberfall als Happening definiert werden kann, wird Spam wirklich Kunst werden.


















Das Lautgedicht KARAWANEvon Hugo Ball (1917)

Bildquelle: Wikpedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Dadaismus)

Montag, 6. September 2010

"Spoetry" - Spam-Poesie

Die kurze Vorstellung der Spam-inspirierten Gedichte des Autors Ben Myers hat bereits den Blick geweitet und so bleibt nur noch festzustellen, dass im englischen Sprachraum mindestens seit dem Jahr 2000 mit Spam-Poesie experimentiert wird. Die Breite dieses künstlerischen Diskurses entfaltet mittlerweile eine Wucht, daß von einer eigenen Form der Poesie, in den Kreisen der Eingeweihten sogar von einer neuen literarischen Gattung unter dem Namen „Spoetry“, gesprochen wird. Auch wenn der kreative Impuls dieser Bewegung einer „maschinengenerierten Sprache und hinterhältigen Marketingwelt“ entstammt, so verhilft der menschliche Eingriff, die kreative Transformation, diesem zu einer besonderen Ästhetik.
„Spam poetry is therefore the literary equivalent of recycling; it takes off-cuts and lets them ferment into something new and occasionally exotic. A Spam poet is as much an editor as a bard, someone who knows which pieces of fat need trimming, who can use a Spam-mail as a spring-board into his or her own imagination. And though there are no rules, I happen to believe that the best spoems are those that can be crafted in a matter of minutes“.
Die literarischen Produkte dieser Spam-Poesie werden mittlerweile in kleinen Anthologien oder im Web publiziert. Den deutschen Sprachraum hat dieser poetische Diskurs, soweit ich sehe, noch nicht wirklich erreicht.

Links:
http://poemsmadefromSpam.blogspot.com/
http://vertice1925.blogspot.com/
http://yayspampoetry.blogspot.com/
http://linuxbox.co.uk/spampoetry.php
http://www.spoems.com/

Bildquelle: http://vertice1925.blogspot.com/

E-Mail Inspired Poems

Dem Kontext der Spam-Poetry sind auch literarisch-poetische Umsetzungen zuzurechnen, wie sie der englische Autor Ben Myers 2008 in einer Sammlung eigener Gedichte versuchte. Die "E-Mail Inspired Poems“ (Blackheath Books)" waren unmittelbar von Spam inspiriert und wurden mit Zitaten des britischen Science-Fiction-Autors James Graham Ballard (geb. 1930) und des amerikanischen Schriftstellers Robert Frost (1874-1963) eingeleitet:
„Electronic aids, particulars domestic computers, will help the inner migration, the opting out of reality. Reality is no longer going to be the stuff out there, but the stuff inside your head. It’s going to be commercial and nasty at the same time“ (J G Ballard).
„Poetry is what gets lost in translation“ (Robert Frost).

Myers fand seine Gedichte im digitalen Niemandsland. Er selektierte und extrahierte die Botschaften und schrieb dazu in seinem Blog: „Because there is no set form I can only share how I approach writing such poetry. First of all, you need to turn off your Spam filter and risk an influx of viruses. Fear not though, it will be worth it: computers are replaceable, poetry is forever. Only one in ten or so Spam e-mails will be of interest, so discard the boring ones and concentrate on a good one. Keep the best lines, phrases or key words, then cut it down. Keep re-reading it and sooner or later something of interest might emerge – even if it just a line or two. For example I received an e-mail entitled ‘Videos Of Girls’ that was probably advertising porn and I extracted the following line: And in comes the sun crow, timidly / drinking sulky cat sour milk sickness. I still don’t know what it means, but it reminded me of TS Eliot, so I kept it. I think the key to a good Spam poem is not what it says, but how it makes you feel. In this instance, ‘Videos Of Girls’ makes me feel slightly suggestible“.

Seine Ver-Dichtungen entwickeln einen surrealen Duktus in der Konfrontation von moderner Technologie und tradierten literarischen Techniken, von Kommerz und Poesie. Er manipulierte Texte über Viagra, russische Bräute, Sexspielzeuge und vermeintliche Bankschreiben zu bizarren lyrischen Kompositionen. Dabei stellt er seine Arbeit in eine Beziehung zur amerikanischen Beat-Ikone William S. Burroughs, der Teile seiner Romane in der sog. „cut-up“-Technik geschrieben hatte. Burroughs hatte seine Manuskripte in kleine Zettel zerschnitten und diese dann ohne genauen Plan neu geordnet. Daraus entstand eine assoziative Erzählstruktur, die dem Leser einen beliebigen Einstieg und eine freie Handlungslinie im erzählerischen Fortgang bot. Auch Myers arbeitet in seinen Gedichten mit dem Zufall, der ihn aus den unbekannten Weiten des Internet mit einer Nachricht versorgte. Der jeweilige konkrete oder abstrakte Inhalt wird von ihm selektiert und in einen neuen Zusammenhang, eine andere, diesmal poetische, Realität, überführt.


Bildquelle: http://www.blackheathbooks.org.uk/8.html

Freitag, 3. September 2010

Spam is Poetry

Da es sich bei Spam in der Regel um Textnachrichten handelt, erfolgte die kreative Reflexion und Umdeutung auch auf einer textgebunden, literarischen Ebene. Initiativen wie das „Spam Poetry Institute“ (www.Spampoetry.org/) oder die Website „Spam is Poetry“ (http://www.Spamispoetry.com/) dokumentierten das vermeintliche poetische Potential der Massenmails.

In der Regel werden von den Initiatoren aus der eingehenden Junkmail einzelne Nachrichten ausgewählt, die nach Auffassung der Betreiber eine „literarische“ oder „poetische“ Qualität („fine literature created by the world`s Spammers“) besitzen: die Mails formulieren in der Regel gerne rätselhafte Botschaften, können als Metapher verstanden werden oder eröffnen einen Bedeutungsraum, der eben mehr ist, als ein „verzweifelter Schrei nach Zuwendung aus der Marketing-Gosse". Ein Grundprinzip dieser Poetisierung von Spam ist eine, gerne auch ironisch fundierte, Veredelung und Exegese: die Textpassagen werden aus ihrem originären Bedeutungszusammenhang gelöst und inhaltlich oder formal in einen neuen Zusammenhang verschoben. Diese Isolierung der Botschaften und die dadurch erfolgte „Bereinigung“ ermöglicht den Sentenzen tatsächlich eine andere Qualität. Die Phrasen werden zu einem Motto, Wahlspruch oder Slogan, der mit dem gerne banalen, bösartigen oder zutiefst kommerziellen, aber immer heilsversprechenden, Hintergrund spielt. Im Kopf des Lesers oder Betrachters erfolgt eine neue Kontextualisierung und Autorisierung. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Die Mediengesellschaft braucht das Produkt nicht mehr, sie vertraut allein auf die Heilswirkung der Botschaften? Und diese Botschaften liegen zu hundertausenden in allen Sprachen in digitalen Off des Internets oder werden den Rezipienten frei Haus geliefert? Wie Notizen und Relikte einer unerschöpflichen digitalen Performance schweben sie als frei verfügbare Chiffren im Raum und erlauben eine Ausdeutung vom profanen bis in den sakralen Kontext. Was für eine Dimension ;-)


Bildquelle: http://www.spamispoetry.com