Freitag, 1. Oktober 2010

Elliott Burford is Spam

Der in Australien geborene Designer Elliott Burford lässt sich seit 2009 von Spam-Emails zu kleinen Zeichnungen inspirieren, die er 2010 schließlich auch zu einer Ausstellung und einer Publikation (im Selbstverlag) arrangierte.
Während er in den Zeichnungen nur die Titel der Spammails verarbeitete, nutzte er den eigentlichen Content für eine flankierende Audioproduktion, die Texte der Spammails verlautbarte. Der Einsatz von Comuterstimmen und frei verfügbarer Text-to-Audio-Software überzeichnete den Charakter von Spam, der, nach Auffassung des Künstlers, auf das Prinzip "Technik" als "Creator" und "Projektor" zurückzuführen ist. Seine akkustischen Arbeiten stehen damit in der Tradition von SPAMBOX und SPAMRADIO, die ebenfalls mit der Umsetzung von Textnachrichten in Audiotracks experimentierten und die akustischen Spuren des digitalen Zeitalters nachzuzeichen versuchten.



Audio Spam (Sample) by Elliott Burford



Bildquelle: http://www.elliottburford.com

Montag, 27. September 2010

„Erektionslyrik von Dichtmaschinen“

Nicht zuletzt im Kontext der vermeintlichen Sprachkunst- und Hochliteratur-Emails diskutierte der „Spiegel“ 2006 die Zusammenhänge zwischen Spam und dadaistischer Lyrik. Er diagnostizierte Werke von „bizarrer Schönheit“, deren Poesie freilich eher beiläufig und zufällig entstand oder im intendierten Missbrauch einer Sprachkunst gipfelte. Die vermeintliche Poesie kannte auch hier, wie eben beschrieben, aber wieder nur ein einziges Ziel: die Überlistung der Spamfilter. Tatsächlich kursierten in dieser Zeit Texte im Internet, die in diversen Foren und Blogs leidenschaftlich diskutiert wurden:

„Duften Maria Gerstenberg im Arfakalori Manuela Geschmack wie, rauf Entmilitarisierung Geigerzähler nett lieben bullös. Manuela zum Bartsittich nach beglückwünscht Finanzbericht. Eisente rein erwacht. Gut Carlo Drayer attraktiv disassemblierend Regina Aufbauleuchte Liebe, mehrere Geschwistermord Blaukopf-Erdracke viel und an jdm. vorübergehen. Regina gegen durchgefallen ohne Ein schönes Chaos beglückwünschen Ehrenpreis wollte Aufklärung verlangen„

Auch wenn diese Spam-Mails als digitale Grotesken und fabulierte  Abstraktionen nicht Resultate eines intellektuellen Prozesses waren, so stellen sie doch die Frage nach einen Verhältnis zu den künstlerischen Ausdrucksformen der sog. „Wortkunst“, die als Ausdrucksform des Dadaismus um 1900 entstanden war. Ein sprachtechnisches Merkmal dieser Ausdrucksform war das Spiel mit Worten und Buchstaben, wie es uns, freilich mit anderen Intensionen, auch in den Spam-Mails begegnet. Hinter der dadaistischen Sprachskepsis stand der Zweifel vieler Autoren, dass die Wirklichkeit objektiv erkennbar und mit Hilfe sprachlicher Mittel darstellbar sei. Schon Stefan George und Rainer Maria Rilke hatten sich der Auffassung angeschlossen, dass allein durch eine poetische Sprache eine „höhere Wahrheit“ ausgedrückt werden könne. Die Dichter konstatierten einen Bruch zwischen der Sprache und der Realität, der in ihren Augen unüberbrückbar war. Einige Künstler zogen sich im Sinne des L’art-pour-l’art-Gedankens in eine eigene Gegenwelt der Kunst zurück, andere gaben das Schreiben von Literatur ganz auf. Dadaisten wie August Stramm stellten in ihren Gedichten Substantive und Verben in der Infinitivform nebeneinander und imitierten den damals üblichen Schreibstil von Telegrammen. Kurt Schwitters collagierte („vermerzte“) in seinen Werken Wortschnipsel, phonetische Laute und typographische Elemente zu neuen bildnerischen und poetischen Ausdrucksformen. Seine Wortkaskaden unterwanderten alle grammatikalische Regeln und eröffneten einen unerwarteten, spielerischen, gerne auch absurden, Bedeutungshorizont:

Nächte
Gedicht 7
Innige Nächte
Gluten Qual
Zittert Glut Wonne
Schmerzhaft umeint
Siedend nächtigt Brunst
Peitscht Feuer Blitz
Zuckend Schwüle
O, wenn ich das Fischlein baden könnte!
(Kurt Schwitters 1917/18)

Ein Ziel der Schwitterschen Wortkunstwerke war gleichermaßen der Bruch mit Traditionen, die Sinnentleerung der Sprache bis hin zum formulierten Nonsens, dafür aber auch zuweilen eine Aufladung der Strukturen mit einer höheren Bedeutungskapazität. Zudem lassen sich in der New Media Art viele dadaistische Strategien und Techniken wiederfinden. Vom Konzept der Collage über das Ready-Made bis zur provokanten Ironie und Absurdität lassen sich Parallelen zu den Wortverbildungen des Spam lokalisieren. Dieser funktioniert als globale Nachricht mit einer zuweilen ironischen Ausrichtung und nihilistischen, vielleicht sogar zerstörerischen, Wertigkeit. Diese entsteht freilich in der Regel nicht aus einer künstlerischen Absicht heraus, sondern wird dem Produkt erst rezeptiv zugeschrieben. Der echte Spammer hat nur ein Ziel: sein kommerzielles oder kriminelles Ansinnen zu verbergen und seiner Nachricht eine andere Bedeutung zu verleihen, die technisch von den Virenfiltern und intellektuell von den Mailempfängern nicht erkannt wird. Dabei können wir dem Spammer gerne auch eine zerstörerische Absicht unterstellen, wenn er seine Mail mit einem bösen Virus koppelt, der den PC des Empfängers manipuliert oder unbrauchbar macht. Der Spammer nutzt dabei auch die Hilflosigkeit des Users gegenüber einer höheren Instanz (der Technik), die mangelnde Vernuft oder Kompetenz des Individuums vor dem eigenen PC und die Offenheit des Rezipienten für  Zufälle und Assoziationen. Mit einer solchen Argumentation könnten wir tatsächlich Spam als intelligente Konstruktionen in DADA-Nähe definieren. Da der gewöhnliche Spam aber in der Entstehungsmotivation keinerlei reflektierende Intension besitzt, ist ihm eine Wertigkeit als Kunst abzusprechen. Üblicherweise sind die Hintergründe banal und klar definierten kommerziellen oder kriminellen Intensionen geopfert. Wer den echten Vergleich mit Dada sucht, hat die Kunst nicht verstanden. So wenig wie ein echter Banküberfall als Happening definiert werden kann, wird Spam wirklich Kunst werden.


















Das Lautgedicht KARAWANEvon Hugo Ball (1917)

Bildquelle: Wikpedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Dadaismus)

Freitag, 24. September 2010

Fresh Spam - Illustrations inspired by spam header

Die englische Grafikerin  und Illustratorin Kipling West setzt sich seit dem Jahr 2007 kreativ mit dem Thema "Spam" auseinander und gelangt zuvertrauten Einsichten: "I am inspired by spam; taking something that is intrusive, annoying & stinky, and seeing beauty (or at least a bit of entertaining weirdness) in it. Spam, like another common commodity, is plentiful, everyone deals with it daily, and it can be a rich fertilizer if cultivated appropriately." (KW).
In ihrem Blog (http://fresh-spam.blogspot.com/) dokumentiert sie ihre eigenen Arbeiten, bietet aber auch eine Typologie des bekannten Spamvorkommens, flankierende Links zu Spam-Portalen und korrespondierenden Webadressen.














Bildquelle: http://fresh-spam.blogspot.com/

Samstag, 18. September 2010

Cry or Help - Scam-Emails

Weniger bekannt als Spam, aber deutlich phantasievoller und womöglich ebenso effektiv, sind die sog. Scam-E-Mails – vermeintliche Geschäftsangebote oder Hilferufe, die mit erzählerischem Duktus von genialen Geschäftsofferten, unvermuteten Lotteriegewinnen, geheimen Schätzen, gemeinen Schicksalen und dem immerwährenden Kampf zwischen Gut und Böse berichten. Dabei besetzen die kriminellen Spammer, bzw-. deren Autoren, so ziemlich jedes Klischee, das die westliche Welt zu vergeben hat. In den Mails werden dramatische und bewegende Schicksale geschildert, enorme Summen ausgelobt oder einfach an die Hilfsbereitschaft eines Menschen appelliert. Die Verführungsparameter laufen über die immerwährenden Hoffnungen des Menschen auf plötzlichen Reichtum, Glück und Erfüllung. Dabei treffen sie die mitteleuropäische Gesellschaft offensichtlich an sensiblen Stellen, denn der Schaden durch diese kriminellen Initiativen ist beträchtlich. Zu tausenden lassen sich Ahnungslose in die Fänge einer hinterhältigen Trickbetrügerei locken und werden zu Opfern gemacht. Zuweilen ist es eine scheinbar vereinsamte Osteuropäerin oder Asiatin, die unverschuldet in eine dramatische Lebenssituation geraten ist und in hilflosen Sätzen ihr erbarmungswürdiges Schicksal ausbreitet. Das andere Mal ist es ein afrikanischer Goldminenbesitzer, der seine Heimat als Eldorado der politischen Korruption und Wirtschaftsintrige inszeniert und nun aus Europa dringende Hilfe erbittet. In einer weiteren Variante ist es der Nachlass eines tragisch ums Leben gekommen Millionärs, der ohne Erbe geblieben ist und nun abgewickelt werden muss. In jedem Fall sollen die Adressaten der SCAM-Mails zur Preisgabe biographischer Daten und/oder finanziellem Engagement motiviert werden. Der Phantasie sind in diesen Geschichten keine Grenzen gesetzt. 

Der deutsche Grafiker und Comic-Zeichner Henning Wagenbreth nutzt für viele seiner Projekte Inspirationen und Konzeptionen aus dem digitalen Raum. 2006 publizierte er eine Sammlung von 36 illustrierten SCAM-Mails aus den Jahren 2001 bis 2004: „Der Ton ist sorgfältig gewählt, die oft haarsträubenden Geschichten phantasievoll konstruiert: Die afrikanischen Scam-Mails, die sich seit Jahren in unseren E-Mail-Boxen sammeln, stellen eine besondere Art des gezielten Betrugs dar. Maßlos, unverblümt direkt und sprachlich aberwitzig werden Personalien erfunden und tragisch-katastrophische Situationen in korrupten afrikanischen Staaten geschildert. Das briefliche Angebot verspricht lukrative Geschäfte in Millionenhöhe und spielt dabei geschickt mit den in Europa und USA verbreiteten Vorurteilen. »Cry for help« versammelt 36 dieser kleinen bösen Meisterwerke.

































Henning Wagenbreth
Cry for Help
36 Scam Emails from Africa
ISBN-13:
ISBN-10:
Ginko Press, 2006

Bildquelle: http://www.gingkopress.com/03-gra/cry-for-help.html

Freitag, 17. September 2010

Perlen des Spam - Nicoals Mahler und der Comic-Spam

Der österreichische Comiczeichner Nicoals Mahler zeichnet für österreichische, deutsche und Schweizer Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien. Seit 2006 ist Mahler den deutschen Lesern durch seine Veröffentlichungen im Satiremagazin Titanic bekannt. Im SPAM-Kontext ist auf eine 2009 publizierte Veröffentlichung zu verweisen:
„SPAM“, Berlin 2009 (Reprodukt Verlag, ISBN 978-3-941099-17-3).
Aus einer Sammlung von 15.000 Spam-Mails hat Nicolas Mahler die besten Textvorlagen für seine Cartoons ausgewählt. Scheinbar mühelos gelingt es ihm, bekannten Figuren durch einen neuen Blickwinkel ein Höchstmaß an Komik abzugewinnen. Online flankiert Mahler seine Publikation mit einem Blog, auf dem nicht nur die Cartoons aus dem Buch, sondern auch Variationen zu "SPAM" sowie unveröffentlichte Zeichnungen präsentiert werden: "Ich finde [Spam-Mails] sprachlich sehr reizvoll und oft erstaunlich gut geschrieben. In ihnen sehe ich immer wieder neue sprachliche Ausformungen für die ewig gleichen Motive. Einen Spam-Ordner durchzulesen ist natürlich sehr monoton, aber dazwischen findet man richtige Perlen. Das ist auch nicht anders als bei großen Kunstwerken, wo man gewisse Längen absitzen muss, um dann plötzlich zur Essenz zu gelangen." (Nicolas Mahler, Interview in der Süddeutschen Zeitung)












Bildquelle: http://mahlermuseum.blogspot.com/

Donnerstag, 16. September 2010

Spam - Eine Schöpfung von Monty Python’s Flying Circus

Kleine Studie zu Etymologie und Ursprung des Begriffes "Spam". Das Wort geht ursprünglich auf einen 1937 erfundenen und inzwischen markenrechtlich geschützten Namen des amerikanischen Lebensmittelkonzerns Hormel für ein fleischhaltiges Speiseprodukt (http://www.spam.com/) zurück. Das Nahrungsmittel war (und ist) billigig zu produzieren und boomte während der Rationierung in Kriegszeiten in den USA. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Dosenfleisch dann nicht nur auf dem amerikanischen Markt vertrieben, sondern auch an die alliierten Truppen ausgegeben. 1957 erreichte das Produkt den globalen Markt und verzeichnete zwei Jahre später die erste Billion produzierter Dosen. Schließlich beförderte die Omnipräsenz dieses Produktes vor allem im amerikanischen Sprachraum die Nachhaltigkeit des Markennamens.

Nichtsdestotrotz hat das, was die digitale Weltgemeinschaft heute primär als "Spam" bezeichnet, mit dem Dosenfleisch wenig zu tun: Als Synonym für eine unnötig häufige Verwendung und Wiederholung geht der Begriff auf einen Sketch der englischen Komikertruppe Monty Python’s Flying Circus zurück, der am 15. Dezember 1970 erstmals in der BBC ausgestrahlt wurde. In dem Sketch fragt ein Pärchen in einem von Wikingern bevölkerten Bistro nach den Speisen und bekommt ausschließlich Gerichte mit Spam benannt. Schließlich beginnen die Wikinger einen Gesang über Spam und der Sketch gleitet in eine surreale Groteske ab. Der Begriff Spam wird im kurzen Sketch über hundert Mal genannt und zielte auf das billige Dosenfleisch und dessen unübersehbare Marktpräsenz ab.

In den 80er Jahren tauchte der Begriff dann in den Chaträumen von vernetzten Computerspielen (sog. Multi User Dungeons bzw. MUDs) auf, die zunächst auf Universitätsrechnern und –netzen betrieben wurden, sich aber zügig auch in öffentlichen Netzen etablierten. Die User registrierten hier erstmals das wiederholte und massenhafte Überschwemmen eines Text-Interfaces mit Botschaften. Offenbar wurden dabei auch gerne die bekannten Spam-Sequenzen aus dem Monty Python Sketch eingebracht, was zur nachhaltigen Namensgebung des Verfahrens beigetragen haben dürfte.

Mittwoch, 15. September 2010

Hörspiel zum Thema Spam: “This is your Penis: 8–0″

Jan Frederik Vogt hat für den SWR ein Hörspiel produziert, das 2010 beim Leipziger Hörspielsommer den Preis als “Beste Inszenierung” gewonnen hat. Das Spam-Hörspiel besteht aus Original-Spam-Mails, die Vogt in einem Zeitraum von 3 Monaten gesammelt hat. In der Hörcollage werden sie von den Sprechern so unterschiedlich interpretiert, dass jede Einzelne einen eigenen Hörraum aufmacht. Der Hörer arbeitet sich bei diesem Stück so zu sagen durch seinen E-Mail-Spam-Ordner und erhält dabei eine neue, verstörende Sicht auf die Welt in der er lebt. Eine vergnügliche halbe Stunde, - nicht nur im Dickicht abstruser und fast poetischer Spam-Texte.





Texte:
Spammer des World Wide Webs

Sprecher:
Ina Piontek, Paul Enke, Philipp Öhme, Jürg Wisbach, Iliyana Ognyanova, Howard Atkinson, James McDonald, Caro Ackermann, Kika Schmitz, Christian Ehrich, Markus Fennert

Realisation:
Jan Frederik Vogt
Eine Produktion des Experimentellen Radios der Bauhaus Universität Weimar 2009/2010.

Länge:
lange Version: 53 Minuten
kurze Version 28 Minuten 30 Sekunden


Link zu Jan Frederik Vogt: http://weristfrederik.de/
“This is your penis” kann man sich kostenlos online anhören und als MP3 downloaden: http://www.swr.de/swr2/hoerspiel/-/id=661194/did=6789848/pv=mplayer/vv=popup/nid=661194/1m9h9l6/index.html

... to capture the present

Der niederländische Künstler Bas Beimal (Amsterdam) arbeitet seit ca. 2002 mit Spam-Emails und transponiert die Texte der Junkmails auf unterschiedliche Materialien. Spam versteht er als eine Markierung der Gegenwart, die einen besonderen Blick auf die, nicht nur digitale, Realität ermöglicht: “(…) my intention is to capture the present. The cultural momentum we experience the last couple of years through the internet and now by this spamming. Actually I compare myself more to a landscape or portrait painter. Of course they can paint a landscape or figure from their fantasy, but that does not capture anything other than just that.” (BB)

















Bas Beimal
Stop Spam Once and for all!, 2005

Bildquelle: http://www.basbeima.nl/?q=node/23

Montag, 13. September 2010

Von der SPAM-Trap zum SPAM-Recycling

Der zuvor einmal vorgestellte Spam-Shredder (www.spam-shredder.de) hat eine Parallele in der Idee des Spamrecyclers der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Dieser wurde 2006 von der Werbeschmiede Jung von Matt unter der URL www.spamrecycling.com freigeschaltet. User konnten ihre Junkmails an eine Software weiterleiten, die automatisiert aus den Buchstaben, Wortfetzen oder Bildfragmenten feine Flashgrafiken errechnete. Die Ergebnisse dieses Daten-Recyclings präsentierten sich als schöngerechnete Liniennebel am illuminierten Nachthimmel des eigenen Desktop.

In der Bewertung zeigt sich hier eine quasi intellektuelle Umkehrung von Spam, die aus dem Datenmüll ein ästhetisches Artefakt produziert, - eine dekorative Grafik, die sich der Absender zur Eigennutzung auch wieder zusenden lassen kann. Mit dem vielfach ausgezeichneten Projekt wollte die EnBW auf ihr Recycling-Engagement in der »realen Welt« aufmerksam machen, in der sie aus Hausmüll, Industrieabfällen oder sogar Kuhmist neue Energie erzeugen. Zur Kommunikation des eigenen Profils lag dann die Idee nahe, einen Müllplatz zu fokussieren, der jedem Internetnutzer bestens vertraut ist: den Junkmailordner und dessen täglichen Lieferanten, den Spam. Tatsächlich war das Online-Projekt längst erfolgreich abgeschlossen, wurde aber 2008 reaktiviert, nachdem es im Web wieder und wieder intensiv diskutiert worden war. Für das Projekt war eine Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe angedacht, wurde bislang aber noch nicht realisiert.

Sonntag, 12. September 2010

Eine Falle für den Spam - die SPAM-Trap

Ein zentraler Aspekt der Spam-Kunst ist das Prinzip Multitasking, da mindestens zwei kommunizierende Positionen die Voraussetzung schaffen, dass die Kunst überhaupt entstehen kann: der Initiator resp. Absender (und sei es auch nur eine Software) und der Empfänger resp. Adressat, der die Mail erhält.
Im Spannungsfeld dieser Interaktionen untersuchen Künstler die Gültigkeit und Wirkungsweisen von zunehmend verdichteten Informationen im gesellschaftlichen und persönlichen Umfeld. In diesen Kontext ist eine 2007 initiierte Arbeit des amerikanischen Künstlers Bill Shakelford einzureihen, die als „Spamtrap“ Junkmails über eigens angelegte Mailadressen empfängt, druckt und sofort zerstört bzw. an einen „Spamindex“ meldet. Shakelford machte in seiner Installation den Datenmüll sichtbar und offenbarte die kommunikative Sackgasse, die mit den Junkmails verbunden war. Gleichzeit ermöglichte er einen Blick in den offenen Rechner, die technischen Hintergründe und eine Ahnung über die erheblichen software- und hardwaretechnischen Aufwände, die Empfang, Ausdruck und Vernichtung einer Email erfordern.
Die Spamtrap steht als Metapher für die Komplexität oder Banalität unserer digitalen Kommunikation, die gigantische Leistungen vollbringt, um den selbstgeschaffenen Datenmüll zu verwerten. Noch im gleichen Jahr wurde die Installation zum „Spam-Shredder“ erweitert und in eine Marketingkampagne für die Firma Cisco Systems Inc. eingebunden: wer eine Email an die Mailadresse spam@spam-shredder.de weiterleitete, konnte live zusehen (www.spam-shredder.de) wie diese vernichtet wurde.











Bildquelle: http://billshackelford.com

Samstag, 11. September 2010

Make Money Fast - Hall of Humiliation

1997 wurde auf der Ars Electronica ein Projekt mit der „Goldenden Nika“ in der Kategorie „.net“ ausgezeichnet, das als "Make Money Fast ( MMF (20)) - Hall of Humiliation" von Ralf Schmidt initiiert wurde. Dabei handelte es sich um eine öffentlich zugängliche Plattform, die Spam und Scam nicht nur in einer Datenbank ablegte, sondern auch die Hintergründe der lästigen Werbung verfolgte. Die "MMF Hall of Humiliation" verstand sich als "Un-Ruhmeshalle" und  enthielt zahlreiche Verweise auf andere Sites, die MMF bekämpfen, indem sie genau erklären, warum MMF nicht funktioniert und welche Strafen auf die Mitwirkenden warten. Tatsächlich bezeichnet „Make Money Fast“ einen Terminus, der zu den frühesten Spam-Initiativen gezählt wird und auf einen Kettenbrief von Dave Rhodes zurückzuführen ist. Der Brief war um 1988 verfasst und im USENET massiv verbreitet worden. Die Person Dave Rhodes ist nie wirklich sicher identifiziert worden, wird aber an einem amerikanischen College lokalisiert. Der Kettenbrief erreichte schließlich das Internet und erlangte traurige Berühmtheit, da er zu den weitverbreitetsten und hartnäckigsten Nachrichten der digitalen Welt gezählt werden muss.
Schmidt wurde auf der Ars Electronica für seine ironische Attacke gegen ebensolche Kettenbriefe und Schneeballsysteme des Web ausgezeichnet. In der zunehmend digitalisierten Gesellschaft markierte sein Portal eine neue Form der frühen kreativen Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten einer globalisierten Kommunikation.













Bildquelle: http://www.aec.at/bilderclient_detail_de.php?id=15962&iAreaID=178

Freitag, 10. September 2010

Linzie Hunter - Spam One-liners

Die englische Illustratorin Linzie Hunter (http://www.linziehunter.co.uk/) zeigt Arbeiten, die unmittelbar von den gerne absurden Texten in Spam-Mails inspiriert sind. Die kleinen Grafiken wurden über Online Netzwerke wie Flickr bekannt und verbreitet. Die bunten Kompositionen visualisieren in Pop Art Manier Schlagworte und Phrasen aus den Betreffzeilen diverser Spam-Mails. Durch die künstlerische Umsetzung werden die Inhalte aus dem Kontext der Mails gelöst und in einen neuen Bedeutungszusammenhang gestellt. Ihre Motivation für den Zugriff auf die Spam-Mails erklärt die Künstlerin wie folgt: „ I chose the Spam subject lines for two reasons -- firstly that it's a good starting point, having a wide selection of text to work with right in my mailbox ... and secondly, I always found the humor in the strangely phrased, badly worded and often hilariously insulting subject lines". Das Spezifische dieser Kunst ist somit nicht das Medium selbst, sondern ihre besondere Form der Zeitgenossenschaft, ihre inhaltliche Auseinandersetzung, und die über die sozialen Medien des Web 2.0 laufende Verbreitung.
















Linzie Hunter
Spam One-liners
Bildquelle: http://www.flickr.com/photos/linzie/sets/72157602417089145/

Donnerstag, 9. September 2010

SPAM-Trap

1996 experimentierte der englische Netart-Pionier Heath Bunting im Rahmen seiner künstlerischen Arbeiten auch mit „Junkmails“. Dazu richtete er eine Website ein, über die der User eine Spam-Mail an festgelegte Mailadressen verschicken konnte. Diese Adressen wiederum waren selbst bekannte Spam-Adressen und beförderten auf diese Weise den Spam zu ihren Urhebern zurück. Im Signet seines Projekts unterschied Bunting zwischen „Meat“, was gemeinhin das Fleisch resp. den Inhalt E-Mail bedeutet und der eigentlichen „SPAM-Trap“, die die indizierten Mailadressen bezeichnete. Die Arbeit wurde auf dem „Steirischen Herbst“ in Graz 1998 gezeigt.
Als Künstler untersucht Bunting in seinen Arbeiten Kommunikationsprozesse und analysiert das menschliche Verhalten in Abhängigkeit von elektronischen Umgebungen. Sein Junkmail-Projekt stand am Anfang einer langen Kette von Folgeinitiativen, in denen der Künstler diese Mechanismen beleuchtete und mit den scheinbar vertrauten Elementen einer digitalen Kommunikation experimentierte.















Bildquelle: http://www.irational.org/heath/spam/

Mittwoch, 8. September 2010

Spam-Box

Ein mit dem „Spam-Radio“ vergleichbares Projekt war die sog. „Spam-Box“, deren Initiative für das Jahr 2005 nachgewiesen werden kann. Die Urheber der Spam-Box beriefen sich in ihren Intensionen auf niemand geringeren als den Dalai Lama: „said about attachment being the source of our suffering” und wollten Spam nicht nur als ein störendes Geräusch im Kosmos der Gegenwart, sondern als ein echtes Signal unserer Zeit und Kultur verstanden wissen. Dazu erklärten Sie Spam zu einer nützlichen, unerschöpflichen und freien Quelle: „but Spam is also plentiful, inexhaustible and free“. In der Vision der Künstler formuliere Spam als frei verfügbarer Rohstoff eine Strategie des Überlebens. Eine neu zu schaffende “Spam Art“ solle dazu beitragen, aus dem häßlichen Abfall eine schöne Nützlichkeit zu schaffen: “Today's Spam is a strategy for survival, a new genus of Generative Spam Art to transform ugly waste into beautiful utility“. Gerade die abstrakte Wortkunst des Spam befreie vom hypnotischen Mantra der Spammer („Spam barkers“) und halte der Gesellschaft einen Spiegel vor: „Shattering the mirror, we look into the splayed fragments free of annoyance and watch the cloud patterns in the shards. What do you see?”. In der Fortsetzung ihrer künstlerischen Interpretationen wurden die Spam-Ressourcen von den Betreibern der „Spam-Box“ für ein generatives Spam-Music-Experiment genutzt und zu abstrakten, textfreien und digitalen Musiklandschaften arrangiert. Im Resultat entstanden stereotype Klangteppiche, die in ihren Titeln ihre Bezug zu Spam offenbaren („Buy popular drugs online“, 2005), in ihren musikalischen Strukturen aber rätselhaft bleiben.

Link: http://spambox.dmusic.com/

Dienstag, 7. September 2010

Comic und Spam

In der substantiellen und cartoonhaften Verzerrung von Wirklichkeiten, wie sie auch die Monty Pythons formulieren, bietet sich Spam als quasi ideale Grundlage für den Comic an. Stellvertretend können hier Arbeiten von Jim Lujan (http://jlu3.blogspot.com/), Kipling West (http://fresh-Spam.blogspot.com/), Steven Frank (http://Spamusement.com/) oder Sebsatian Jenal (http://www.oezicomix.com/) angeführt werden.

Egal ob es die die Verarbeitung von originalen Mailinhalten, die freie Interpretationen von „spamgeborenen“ Wortkunstgebilden oder die Visualisierung der dunklen Hintergründe und Machenschaften des Spamming geht, - die Comics machen deutlich, dass "Spam" ein fester Bestandteil unseres digitalen Lebens geworden ist.
Die aus der virtuellen Welt wachsenden Impulse erscheinen als unerschöpfliches Reservoir grotesker Geschichten, zotiger Figuren und überzeichneter Atmosphären. Tatsächlich ist tradierten Heroes wie Superman und Spiderman ist längst ein "SPAM-MAN" zur Seite gestellt, der das eine Mal als Schurke die Weltherrschaft erlangen will, dann wieder als Personifikation des guten Helden die Menschheit vor dem Overkill rettet. Aus der digitalen Welt inspiriert, werden diese Comics dann konsequenterweise über unzählige Reflektionen in eigenen Foren, Wikis und Portalen (http://Spamusement.com/ oder http://spamusers.com/forums/index.php) verbreitet und diskutiert.



Bildquellen: http://www.jimlujan.com/2008/05/nigerian-scam-art-by-me.html?showComment=1211087160000

Montag, 6. September 2010

„Outside the Inbox“ - Spam-Musik

Die musikalische Übertragung von Spam kann an einem weiteren Beispiel aufgezeigt werden, das von dem kanadischen Musiker und Produzenten Brad Turcotte (www.bradsucks.net) 2003 initiert wurde. Für den Sampler „Outside the Inbox“ hatte Turcotte Künstler dazu aufgerufen Songs zu schreiben, die ausschließlich von Spam inspiriert wurden. Das Resultat dieser Initiative hat Turcotte kommentiert: „It started out as a novelty idea, but the results have far exceeded my expectations. Aside from the amusement of turning something as annoying as Spam into art, I'm very happy to have the chance to showcase some of the great independent music happening on the Internet these days.” Insgesamt 14 Künstler und Gruppen hatten sich von Spam inspirieren lassen und Turcotte Musikbeiträge geliefert. Im Resultat lagen Songs mit eindeutigen Titeln wie „Look And Feel Years Younger“, „I Got Your Letter“ oder „Erik, Someone Wants To Date You“ vor. Besonders beliebt waren Spam-Mails der Nigeria Connection, der gleich zwei Lieder gewidmet waren: „Urgent Business Confidential“ und „Urgent Business Relationship“.
Der Initiative von Turcotte waren andere Musiker vorausgegangen, die Spam einzelne Titel gewidmet hatten. Die frühen Ansetzungen griffen dabei wahlweise auf die komödiantischen Grotesken von Monty Python auf (wie "Weird Al" Yankovic auf seinem Album „The Food“, 1993) oder transponierten das Massenphänomen als musikalische Zitate in beliebig scheinende Arrangements (wie Save Ferris auf dem Album „It means everthing“, 1997).

Download der Compilation von Brad Turcotte: http://www.bradsucks.net/albums/outside_the_inbox/


Bildquelle: http://www.bradsucks.net/albums/outside_the_inbox/

"Spoetry" - Spam-Poesie

Die kurze Vorstellung der Spam-inspirierten Gedichte des Autors Ben Myers hat bereits den Blick geweitet und so bleibt nur noch festzustellen, dass im englischen Sprachraum mindestens seit dem Jahr 2000 mit Spam-Poesie experimentiert wird. Die Breite dieses künstlerischen Diskurses entfaltet mittlerweile eine Wucht, daß von einer eigenen Form der Poesie, in den Kreisen der Eingeweihten sogar von einer neuen literarischen Gattung unter dem Namen „Spoetry“, gesprochen wird. Auch wenn der kreative Impuls dieser Bewegung einer „maschinengenerierten Sprache und hinterhältigen Marketingwelt“ entstammt, so verhilft der menschliche Eingriff, die kreative Transformation, diesem zu einer besonderen Ästhetik.
„Spam poetry is therefore the literary equivalent of recycling; it takes off-cuts and lets them ferment into something new and occasionally exotic. A Spam poet is as much an editor as a bard, someone who knows which pieces of fat need trimming, who can use a Spam-mail as a spring-board into his or her own imagination. And though there are no rules, I happen to believe that the best spoems are those that can be crafted in a matter of minutes“.
Die literarischen Produkte dieser Spam-Poesie werden mittlerweile in kleinen Anthologien oder im Web publiziert. Den deutschen Sprachraum hat dieser poetische Diskurs, soweit ich sehe, noch nicht wirklich erreicht.

Links:
http://poemsmadefromSpam.blogspot.com/
http://vertice1925.blogspot.com/
http://yayspampoetry.blogspot.com/
http://linuxbox.co.uk/spampoetry.php
http://www.spoems.com/

Bildquelle: http://vertice1925.blogspot.com/

E-Mail Inspired Poems

Dem Kontext der Spam-Poetry sind auch literarisch-poetische Umsetzungen zuzurechnen, wie sie der englische Autor Ben Myers 2008 in einer Sammlung eigener Gedichte versuchte. Die "E-Mail Inspired Poems“ (Blackheath Books)" waren unmittelbar von Spam inspiriert und wurden mit Zitaten des britischen Science-Fiction-Autors James Graham Ballard (geb. 1930) und des amerikanischen Schriftstellers Robert Frost (1874-1963) eingeleitet:
„Electronic aids, particulars domestic computers, will help the inner migration, the opting out of reality. Reality is no longer going to be the stuff out there, but the stuff inside your head. It’s going to be commercial and nasty at the same time“ (J G Ballard).
„Poetry is what gets lost in translation“ (Robert Frost).

Myers fand seine Gedichte im digitalen Niemandsland. Er selektierte und extrahierte die Botschaften und schrieb dazu in seinem Blog: „Because there is no set form I can only share how I approach writing such poetry. First of all, you need to turn off your Spam filter and risk an influx of viruses. Fear not though, it will be worth it: computers are replaceable, poetry is forever. Only one in ten or so Spam e-mails will be of interest, so discard the boring ones and concentrate on a good one. Keep the best lines, phrases or key words, then cut it down. Keep re-reading it and sooner or later something of interest might emerge – even if it just a line or two. For example I received an e-mail entitled ‘Videos Of Girls’ that was probably advertising porn and I extracted the following line: And in comes the sun crow, timidly / drinking sulky cat sour milk sickness. I still don’t know what it means, but it reminded me of TS Eliot, so I kept it. I think the key to a good Spam poem is not what it says, but how it makes you feel. In this instance, ‘Videos Of Girls’ makes me feel slightly suggestible“.

Seine Ver-Dichtungen entwickeln einen surrealen Duktus in der Konfrontation von moderner Technologie und tradierten literarischen Techniken, von Kommerz und Poesie. Er manipulierte Texte über Viagra, russische Bräute, Sexspielzeuge und vermeintliche Bankschreiben zu bizarren lyrischen Kompositionen. Dabei stellt er seine Arbeit in eine Beziehung zur amerikanischen Beat-Ikone William S. Burroughs, der Teile seiner Romane in der sog. „cut-up“-Technik geschrieben hatte. Burroughs hatte seine Manuskripte in kleine Zettel zerschnitten und diese dann ohne genauen Plan neu geordnet. Daraus entstand eine assoziative Erzählstruktur, die dem Leser einen beliebigen Einstieg und eine freie Handlungslinie im erzählerischen Fortgang bot. Auch Myers arbeitet in seinen Gedichten mit dem Zufall, der ihn aus den unbekannten Weiten des Internet mit einer Nachricht versorgte. Der jeweilige konkrete oder abstrakte Inhalt wird von ihm selektiert und in einen neuen Zusammenhang, eine andere, diesmal poetische, Realität, überführt.


Bildquelle: http://www.blackheathbooks.org.uk/8.html

Freitag, 3. September 2010

Spam is Poetry

Da es sich bei Spam in der Regel um Textnachrichten handelt, erfolgte die kreative Reflexion und Umdeutung auch auf einer textgebunden, literarischen Ebene. Initiativen wie das „Spam Poetry Institute“ (www.Spampoetry.org/) oder die Website „Spam is Poetry“ (http://www.Spamispoetry.com/) dokumentierten das vermeintliche poetische Potential der Massenmails.

In der Regel werden von den Initiatoren aus der eingehenden Junkmail einzelne Nachrichten ausgewählt, die nach Auffassung der Betreiber eine „literarische“ oder „poetische“ Qualität („fine literature created by the world`s Spammers“) besitzen: die Mails formulieren in der Regel gerne rätselhafte Botschaften, können als Metapher verstanden werden oder eröffnen einen Bedeutungsraum, der eben mehr ist, als ein „verzweifelter Schrei nach Zuwendung aus der Marketing-Gosse". Ein Grundprinzip dieser Poetisierung von Spam ist eine, gerne auch ironisch fundierte, Veredelung und Exegese: die Textpassagen werden aus ihrem originären Bedeutungszusammenhang gelöst und inhaltlich oder formal in einen neuen Zusammenhang verschoben. Diese Isolierung der Botschaften und die dadurch erfolgte „Bereinigung“ ermöglicht den Sentenzen tatsächlich eine andere Qualität. Die Phrasen werden zu einem Motto, Wahlspruch oder Slogan, der mit dem gerne banalen, bösartigen oder zutiefst kommerziellen, aber immer heilsversprechenden, Hintergrund spielt. Im Kopf des Lesers oder Betrachters erfolgt eine neue Kontextualisierung und Autorisierung. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Die Mediengesellschaft braucht das Produkt nicht mehr, sie vertraut allein auf die Heilswirkung der Botschaften? Und diese Botschaften liegen zu hundertausenden in allen Sprachen in digitalen Off des Internets oder werden den Rezipienten frei Haus geliefert? Wie Notizen und Relikte einer unerschöpflichen digitalen Performance schweben sie als frei verfügbare Chiffren im Raum und erlauben eine Ausdeutung vom profanen bis in den sakralen Kontext. Was für eine Dimension ;-)


Bildquelle: http://www.spamispoetry.com

Donnerstag, 2. September 2010

Spam, Porn and Art

Mit JK Keller und seinen „Spamstractions“ haben wir bereits über die Schnittpunkte von Kunst, Design und Multimedia nachgedacht und die Verwertung von „digitalem Müll“ beleuchtet. Der New Yorker Künstler Adam Harvey nutzt nun implizit den Abfall des Informations-Zeitalters und kombiniert ihn mit einem weiteren, mindestens so populären Element der digitalen Welt: den Internet-Pornos.

„Spam-Mails interessierten mich, weil die absurd und allgegenwärtig sind, sowie wegen der kruden Mixtur aus Sex und Kommerz. Das alles wollte ich visualisieren“ (AH). Das Resultat dieses Versuchs war das Projekt „Save as“, eine Sammlung von C-Prints nach figuralen Motiven aus Porno-Vorlagen, die über ein dichtes Raster von Textzeilen entfremdet werden (http://ahprojects.com/exhibitions/spam-porn-and-art). Harvey benötigte etwas mehr als ein Jahr, um ein Programm zu schreiben, das seine Idee wunschgemäß transportierte: "Es begann mit der Einsicht, dass Spam sich zu einem Hassobjekt entwickelte und ich dachte, man könnte doch versuchen, es in etwas angenehmeres zu verwandeln. Ich spielte eine Weile mit der Idee und kam zu der Überzeugung, dass die beste Art der Visualisierung in der Kombination mit einem Porno war. (…) Es hat sowas von der Idee aus Scheisse eben Gold zu machen”. (AW) Aus den flutenden Texten der Spam-Mails färbt der von Harvey entwickelte Algorithmus einzelne Textzeilen und legt sie in dichten Schichten übereinander, bis sie schließlich in der Gesamtansicht ein verfremdetes Pornobildchen ergeben. Jedes der Werke besteht dabei aus 8.000 bis 40.000 Mails und mehr als 50.000 Zeilen Text. Tatsächlich ist die Kombination von Spam und Porno naheliegend, da ein guter Teil des globalen Spams pornographische Inhalte (bzw. Links) oder vermeintliche Produkte im Pharmakontext (Viagra) transportiert. Zudem stehen hinter den jeweiligen Seitenbetreibern und Mailversendern oftmals vergleichbare Intensionen oder identische Initiatoren.

Mit seinem Projekt blickt Harvey der voyeuristischen, kommerzialisierten und korrupten Gesellschaft auf die Haut, - auf die digitale und die reale. Die Oberflächen seiner Motive wirken spitz, aggressiv und gefährlich, allein das erahnte Motiv als Ausdruck eine vermeintlichen Sehnsucht und Verführung. Nichts ist, wie es ist. Alles virtuell und ein uneinlösbares Versprechen.






Adam Harvey
Spam, Porn and Art, 2002-2006

Bildquelle: http://ahprojects.com/exhibitions/spam-porn-and-art

Spamstractions

Der US-Amerikaner JK Keller arbeitet als Künstler und Designer in New York. In seinen Arbeiten untersucht er Beeinflussungen und Schnittpunkte von Kunst, Design und Multimedia. Seine „Spamstractions“ datieren aus dem Jahr 2006 und sind aus hunderten Spam-Mails generiert. In seinen Arbeiten filtert er die Bitmuster von Spam-Mails, die von den Spammern benutzt werden, um Filtermechanismen und Firewalls zu täuschen oder zu umgehen. Die so generierten Informationen werden zu abstrakten Komposition kompiliert und errscheinen als mystische Botschaften im Kontext von "Technology & Imagination".

Wer JK Keller übrigens beim Denken und „Reifen“ zusehen möchte, kann das online: der Künstler postet seit 12 Jahren jeden Tag ein Portraitfoto unter http://www.c71123.com/daily_photo/.


JK Keller
Spamstractions, 2006

Bildquelle: http://www.c71123.com/spam-abstractions/

Mittwoch, 1. September 2010

SPAMMUSEUM

Die Stuttgarter Künstlerin Stefanie Reling arbeitet seit Jahren mit dem Thema Spam und desitilliert aus den Junkmails Phrasen, Wortgebilde, Texte und Botschaften: „Dieser unendliche Reichtum an Formulierungen, poetischen und philosophischen Gedanken, sowie die Sinnlosigkeit der breiten Versendung durch das Internet findet Entsprechung in Bildern, Objekten, Textcollagen und Schriftbändern“ (SR).

Über das eigentliche Sammeln der Junkmails und die Analyse der Sprachsysteme hinaus, löst die Künstlerin Textsequenzen aus den Mails und arrangiert sie zu fliesenden Rauminstallationen, „Fortsetzungs-Spamcollagen“ und Kunstobjekten. Die dabei genutzten Farbcodierungen der Texte auf blauen und roten Streifen paraphrasieren das digitale Statakto der Spammails, zitieren aber auch Grundfarben einer weitgehend standardisierten Webästhetik, die für Verlinkungen auf Websites entsprechende Kolorierungen kennt.
Durch die Montage weiterer Gebrauchsgegenstände in den Rauminstallationen als reale Umsetzungen der in den Nachrichten fixierten Phrasen und Wörter potentiert die Künstlerin die fast surreale Wirkung dieser Botschaften. Dabei spielen die collagierten Spruchbänder in ihrer Mehrsprachigkeit mit den Prinzipien einer internationalen Kommunikation, ohne eine ebensolche zu sein. Die Botschaften werden vom Rezipienten als fließende Prinzipien wahrgenommen, gelesen, bleiben aber geheimnisvoll und rätselhaft. Als offene Gewebe wachsen sie erst durch die Interpretation des Betrachters zu neuen Bedeutungszusammenhängen zusammen.

Im Sinne einer besonderen Zeitgenossenschaft reflektiert Stefanie Reling ein aus der digitalen Welt gezogenes Vokabular und übergibt es für eine neue Interpretation und Einordnung wieder an die reale Welt zurück.



 
Stefanie Reling,
Objekte und Spams / objects and spams, 2008, 2009

Bildquelle: http://www.spammuseum.de

„Spam-Radio“

Zu den ambitionierten Initiativen der kulturellen Umnutzung von Spam ist das 2002 von dem Programmierer Richard Airlie und dem Publizisten Ian Morrison initiierte „Spam-Radio“ (www.Spamradio.com) zu zählen. Die beiden hatten genuine und auf dem eigenen Server eingegangene Spam-Mails mit Hilfe von Filterprogramm unmittelbar an ein Radiosystem weitergeleitet und mit Musik (Label Monotonik) hinterlegt. Als Live-Audio-File wurden diese Daten dann kontinuierlich im Internet gestreamt. Im Output war eine computergenerierte Männerstimme zu hören, die mit entlarvender Penetranz eine schier unerschöpfliche Menge Spam-Mails rezitierte. Der ungebrochene Stream manifestierte ein permanentes Datenecho und steigerte sich mit jeder einzelnen Botschaft im kontinuierlichen Fluß zu einer surrealen akustischen Groteske. Aus dem Radio tönte der Pulsschlag einer digitalen Zivilisation, die von einer selbstverursachten und scheinbar unaufhaltsamen Krankheit befallen war. Mit ihrer Aktion wollten die beiden Initiatoren bereits 2002 auf das Problem Spam aufmerksam machen: "Spam sollte man ernst nehmen. Wir holen ihn aus dem privaten Posteingang und bringen das Problem an die Öffentlichkeit. Wir geben dem Spam eine Stimme, um Stimmen gegen ihn zu mobilisieren. (…) Marketing per Massenmail ist der Fluch des Internets. Jeden Tag macht Spam sich mit Selbstsicherheit in deiner Mailbox breit. Es gibt immer ein neues Angebot, einen neuen Weg, wie Du dein Leben verbessern kannst, das darfst du auf gar keinen Fall ignorieren".


Bildquelle: http://www.spamradio.com/

Dienstag, 31. August 2010

MADA s.p.a.m

Auf reale und gebaute Spam-Architektur müssen wir wohl noch warten, wiewohl Architektur- und Designbüros wie MADA s.p.a.m. um den einflussreichen chinesischen Architekten Qingyun Ma zumindest etymologisch mit dem Thema spielen: "s.p.a.m." steht hier für strategy, planning, architecture and media. Das chine...sische Büro leitet seine strategischen Ziele aber auch aus dem Kosmos der Junkmails ab und hat sich das Ziel gesetzt, die intellektuelle Firewall der internationalen Architektur zu durchbrechen: „With an aim to launch a critical practice that is not purely based on “critical” cultural theory, but more on critics to current pattern of architectural practice and, MADA s.p.a.m. has set an example to break the intellectual “firewall”, and reach out to reclaim more responsibilities which architects have voluntarily abandoned in last decades”. Die aktuell 25 Architekten von MADA s.p.a.m. arbeiten in der Überzeugung, dass jede programmatische Herausforderung einen eigenen Lösungsansatz jenseits bekannter ästhetischer und formaler Design-Theorien möglich macht.
Die Arbeiten des in Shanghai lokalisierten Büros verblüffen immer wieder durch stilsichere Vielfältigkeit. Neben dem ausgefallen Verwaltungsbau für "Guanghualo SOHO" in Peking, einem der extravagantesten Immobilienentwickler in China, sieht man auch traditionelles Mauerhandwerk wie bei dem Projekt für das Weingut "Jade Village". MA Qingyun versucht, die Geschwindigkeit im Bauprozess als Chance zu begreifen und aus den vielen Beschränkungen vor Ort möglichst viele Freiheiten zu gewinnen.



Bildquellen: http://www.madaspam.com/ und http://bryla.gazetadom.pl/bryla/1,85298,5203653,Guanghualu_SOHO.html

Der Virus als soziales Kunstwerk

In der globalen Mediengesellschaft wurden dem Massenphänomen Spam immer mehr Initiativen gewidmet, die ihn als Ausdrucksform, womöglich Ausfluß, unserer Gesellschaft begreifen und ihm eine „höhere Wahrheit“ zugestehen. Dabei ist es wohl die ständig wachsende Penetranz, der ...ansatzweise anarchische Duktus und die zuweilen aufscheinende Kreativität der Massenmails, die Künstler dazu motiviert, diese zu einer Grundlage für künstlerische Umformungen zu nutzen. Spam-Art eröffnet keinen neuen ästhetischen Diskurs, womöglich aber eine neue Kategorie innerhalb der sog. Medienkunst. Sie wird durch ihren eindeutigen Bezug auf Massenmails und die damit verbundenen gesellschaftlichen Kommunikationsmechanismen bzw. technischen Prinzipien charakterisiert. Die direkte oder indirekte Reaktion auf globale Kommunikationsmuster, der Bezug auf technische oder ästhetische Aspekte und der Zugriff auf Informationen mit globaler Verbreitung und Wertigkeit verleiht dieser Kategorie ein eigenständiges Profil. Dabei tut sie dies nicht notwendigerweise auf spektakuläre Weise, ja ist sogar nicht zwingend digital. Im Vordergrund stehen nicht die (Medien-)Technologien an sich,, sondern deren Wirkungsweisen.
So sind in diesen Kontext auch Artefakte einzureihen, die nur einen periferen Bezug zu den Massenmails und ihrer technischen Konditionierung haben. Ein Beispiel hierfür ist Computervirus „biennale.py“, der 2001 auf der 49.Biennale in Venedig im slowenischen Pavillon präsentiert wurde. Die Künstlergruppen epidemiC (http://www.epidemic.ws/) und 0100101110101101.ORG (http://0100101110101101.org/) hatten einen funktionsfähigen Virus geschrieben und die „Ästhetik des Source Codes“ in die Tradition des Dadaismus gestellt: „A virus is usually considered evil, chaos. But what happens when it is a contemporary art temple to spread the chaos? (…)The creation of a virus tout court, free and without an end or a goal, is in the worst case a test, a survey on the limits of the Net, but in the best case is a form of global counterpower, generally a pre-political form, but that resists the strong powers, it puts them under a new balance, it shakes and reassembles them. A new idea of a "virus that is not just a virus" is gaining acceptance, and that it can represent the outbreak of the social into the most social thing of all: the Net.”

Der Virus als soziales Kunstwerk, als digitaler Ausdruck des politischen und ästhetischen Widerstands. Zur Hinterfragung des Netzes als technisch gewordene Utopie der Moderne zitierten die Macher schließlich den französischen Medientheoretiker Jean Baudrillard (Cool Memories, 1989): „Within the computer web the negative effect of viruses is propagated much faster than the positive effect of information. That is why a virus is an information itself. It proliferates itself better than others, biologically speaking, because it is at the same time both medium and message. It is the ultra-modern form of communication“.

biennale.py

Bildquelle: http://www.epidemic.ws/biannual.html

Montag, 30. August 2010

eine künstliche blumenvase

 „… und in der tat ist spam so etwas wie eine künstliche blumenvase, wo anstatt der blumen farbige buchstabengebilde das bukett bilden: deformationen der buchstaben S, P, A, M. diese vier buchstabenfragmente bilden zugleich die vier seiten des objekts. jede seite wiederum baut sich aus vier schichten auf. jede schicht hat ihre eigene farbe. auf diese weise changiert das objekt von gelb über grün über rot zu blau. zusammen erzeugen die farben neutrales weißes licht. diese deformierten leucht-buchstaben haben alle einen stiel, der nach unten in den "technikraum" des objekts führt. dort findet sich die verkabelung, dort liegen die transformatoren, leicht entrückt hinter opakem glas. spam ist ein schlichtes objekt, in dem semantisierung und desemantisierung, bedeutung und funktion, technik und dekoration zwar miteinander verschliffen werden, doch zugleich klar getrennt voneinander dargestellt sind. kurz gesagt ist spam eine hochästhetische leuchtdekoration, die sich müll nennt und dabei zugleich in seiner transparenz dem grundprinzip moderner gestaltung – form follows function – huldigt.“ (Michael Hofstetter)


Michael Hofstetter
Spam (gelb/grün/rot/blau), 2001-2005
Neonröhren, Plexiglas, opake Folie, Transformatoren, Kabel, 84 x 53 x 53 cm 

Bildquelle: http://www.hamburger-kunsthalle.de/snafu/seiten/11.htm

"SPAM" March 2005"

Die in Berlin lebende Künstlerin Katrin von Maltzahn beschäftigt sich seit Mitte der 90er Jahre mit den unterschiedlichen Aspekten der Kommunikation. In einer Vielzahl von Arbeiten hat sie Zeichen- und Sprachsysteme, sowie deren grundlegende Techniken der Übermittlung, Aneignung, Archivierung und Weiterentwicklung thematisiert. In dem Masse, in sich im Zeitalter der digitalen Medien auch die Kommunikation ändert, wachsen nun neue Impulse in diese Reflektion hinein.

Mit dem Thema „Spam“ befasst sich die Künstlerin seit mindestens 2005: “For SPAM March 2005 I have turned my attention again to the transient phenomenon of "Spam" (= unwanted commercial email messages, that is said to make up as much as 50 % of all email traffic). The "Spam" problem has forced upon us a reality wherein we are all more and more dependent on robotic filters that monitor the flow of our communication with the outside world – often with us having a very vague idea of the parameters used. For this project I have disabled all filters during the month of March that shield me and my computer from these unwanted invitations and distractions. Instead I have collected all "Spam" directed at me. The resulting catalogue of subject lines is presented as a large scale wall drawing, in which these unedited and unwanted messages are transformed / recycled into an unexpected visual drama.” (KvM)

In der künstlerischen Umsetzung erscheint „Spam“ als dynamische Tintenzeichnung aus quasi recycelten Spam-Nachrichten. Diese wachsen, dem lesbaren Textduktus enthoben, in vertikalen Ketten von der Decke und scheinen sich zu einem dichten Vorhang zu verketten. Der Mechanik genormter Drucklettern oder dem PC-Monitor entführt, sind die Botschaften nur noch dem menschlichen Schreibduktus und -rhytmus verantwortlich. Einem typographischen Chiffre vergleichbar, fügen sie sich zu einem organischen Ganzen. Die sich ergebenden Texturen transportieren dabei die Grundstruktur des Ausgangselementes, des Zeichen als Material. Tatsächlich ist Kondensations- und Ausgangspunkt der zeichnerischen oder plastischen Bildungen Katrin von Maltzahns die aufmerksame künstlerische Hege eines geheimen Gartens der Zeichen. Diesem Kosmos sind auch die Spam-Nachrichten zuzurechnen.

Katrin von Maltzahn
installation view Kunstbank Berlin 2005
acrylic paint on wall
220 x 1100 cm

Bildquelle: http://www.katrinvm.de/Pages/files2/spam_m3.htm

Sonntag, 29. August 2010

Michael Arcega - „SPAM/MAPS“

Mit der Britin Sarah Lucas haben wir bereits eine Künstlerin kennengelernt, die Spam in seinem mehrfachen Bedeutungszusammenhang nutze. Mit dem (in den USA lebenden) philippinischen Künstler Michael Arcega wäre nun auf einen weiteren Künstler zu verweisen, der mit einem ähnlichen Ansatz experimentiert. 2001 schuf er mit den „SPAM/MAPS“ eine Weltkarte aus beschnittenen Spam-Stückchen, die er flächendeckend an eine Wand pinnte.

Wir erinnern uns, - im digitalen Raum begegnet uns „Spam“ als Synonym für Junkmail, bösartigen Werbemüll. A priori war und ist „Spam“ etwas anderes: Der Begriff bezeichnet einen in das Jahr 1937 datierenden und inzwischen markenrechtlich geschützten Namen des amerikanischen Lebensmittelkonzerns Hormel für ein fleischhaltiges Speiseprodukt (www.spam.com). Der Begriff ging aus der Bezeichnung „Hormel Spiced Ham“ hervor und ist so simpel wie die Rezeptur für das eingemachte Dosenfleisch: Schinken, Schweineschulter, Zucker, Salz, Natriumnitrat, Tomaten, Wasser und „einige geheime Gewürze“, die seit Coca Cola wohl für jedes erfolgreiche amerikanische Nahrungsmittel verpflichtend sind. Das Nahrungsmittel ist kostengünstig zu produzieren und boomte besonders während der Rationierung in Kriegszeiten in den USA. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Dosenfleisch nicht nur auf dem amerikanischen Markt vertrieben, sondern auch an die alliierten Truppen, insbesondere die russischen und englischen Soldaten, ausgegeben. 1957 erreichte das Produkt den globalen Markt und verzeichnete zwei Jahre später die erste Billion produzierter Dosen. Schließlich beförderte die Omnipräsenz dieses Produktes vor allem im amerikanischen Sprachraum die Nachhaltigkeit des Markennamens.

Für Arcega repräsentiert Spam Aspekte der US-amerikanischen Kolonialisierung: “Spam’s diasporic nature is symbolic of America’s ongoing influence on many nations. S-P-A-M is M-A-P-S in reverse.” (Zitat M.A.) Der Bezug über den digitalen Spam rekrutiert auf die globale Wucht dieses Impulses und wohl auch, in einer ironischen Notiz, die Qualität und Nachhaltigkeit der amerikanischen Einflussnahme. Während der digitale Spam unsere Virtualität und intellektuellen Konturen beeinflusst, kanalisiert der „Speise-Spam“ ein anderes Verfahren: “Eating is something everyone does, and so is an entry point into culture,” says Arcega. “I was wondering why we, as Filipinos, eat Spam. It turns out Spam was a World War II ration. Spam revolutionized the military. It was the first successful canning of meat and solved the logistical issue of feeding the military. Spam allowed the military to ship food ever faster overseas. Now Spam is eaten throughout Asia and even in Australia.” (Zitat M.A.).

Michael Arcega
SPAM/MAPS: World
Spam luncheon meat, 4’ x 3’ - 2001


Bildquelle: http://www.arcega.us/Work/Entries/2001/11/4_SPAM_MAPS__World_files/shapeimage_1.png

Sarah Lucas - „In-A-Gadda-Da-Vida“

Sie gehört zu den viel gefeierten Young British Artists und ist zweifellos ein „bad girl“, - Sarah Lucas. Mit Damien Hirst, Tracey Emin, Angus Fairhurst, Gary Hume zählt sie zu den ehem. Studenten am Londoner Goldsmiths College, die in den 80er und 90er Jahren eine vom Londoner Kunsthändler und Werbemanager Charles Saatchi besonders geförderte Bewegung formierten und an berühmten Ausstellungen wie „Freeze“ (1988), „Brilliant!“ (1995) oder“ Sensation“ (1997) teilnahmen.

Dem Thema „Spam“ widmete Sarah Lucas eine große Installation, die 2004 auf der Ausstellung „In-A-Gadda-Da-Vida“ in der Tate Britain gezeigt wurde. Die Arbeit changiert mit den verschiedenen Bedeutungen, die Spam hat: dem Fleischprodukt der Firma Hormel, und damit einer Metapher für den Menschen an sich, und dem digitalen Spam, einem Massenphänomen, dass in seiner Relevanz globale Bedeutung hat. Sarah Lucas thematisiert in ihren Arbeiten häufig die Beziehung von männlicher Lust und weiblichem Rollenverständnis, - und wenigstens von ersterem scheint der Weg zu den Viagra-Mails der Junkmails nicht mehr weit. Der männliche und durch die allgegenwärtige Medienpräsenz auch klischierte Blick wird in ihrem Werk entlarvt, imitiert und erwidert. Dass die Künstlerin dabei immer wieder auf männliche Verhaltensweisen rekurriert und diese grandios durch weibliche Nonchalance untergräbt, wird besonders deutlich in ihren Selbstporträts (1990-1998), in denen sich Lucas in der Doppelrolle der Autorin und des Objekt des Blickes selbst in den Kreislauf von Rollenvermischungen und Anzüglichkeiten einbringt.
In der Auseinandersetzung mit dem (nicht nur digitalen) Alltagsthema "Spam" fokussiert sie die Junkmails als Ausdruck einer Trash-Ästhetik irgendwo zwischen dem "Geist der Ready Mades von Marcel Duchamp" und der morbiden Sensibilität eines Punk. Dabei geht es der Künstlerin nach eigenem Bekenntnis "um das Material, das gerade greifbar ist. (...). Die Arbeiten (sind) nicht reduzierbar auf eine eindeutige Aussage. Deshalb spreche ich von „Bewusstsein“. Die Arbeiten funktionieren wie hyperempfindliche Oberflächen, die alle möglichen Ideen, die in der Luft liegen oder in den Köpfen der Menschen herumfliegen, aufgreifen, statt lediglich einen klaren Bedeutungspunkt zu haben". Weiter führt sie aus: "Much of the work in this show, seemingly austere (...) reflects a culture inundated with a new range of sensations - a culture in which the individual has become porous - an information filter bombarded with constant streams of data, entertainment, spam and just about anything that can be zapped and downloaded and broadcasted". Tatsächlich sind Sarah Lucas Arbeiten von einer befreienden Illusionslosigkeit und erweitern das imaginative Feld bekannter Kunst- wie Alltagsformen um jedes Material, das der Künstlerin verfügbar ist und sich für Ihren Ansatz nutzen lässt. Dazu gehört auch der tägliche Output unserer digitalen Welten, sei er hilfreich, sinnvoll oder sinnfrei.

Wallpaper: 
Damien Hirst Butterfly wallpaper  2003   
© the artist/Courtesy Jay Jopling, London

Rear Centre:
Damien Hirst The Pursuit of Oblivion  2004 (detail)  
© the artist/Courtesy Jay Jopling, London

Middle: 
Sarah Lucas Spam  2004   © the artist/Courtesy Sadie Coles HQ, London 

Foreground:
Angus Fairhurst The Birth of Consistency  2004   
© the artist/Courtesy Sadie Coles HQ, London


Bildquelle: http://angelfloresjr.multiply.com/journal/item/317

Samstag, 28. August 2010

SPAM-Architektur

Der rumänische Künstler Alex Dragulescu generiert aus den Spam-Mails dreidimensionale Objekte und Architekturen. Über rechnergestützte Computerprogramme destilliert er aus den digitalen Vorlagen numerische Charakteristika und transponiert diese in visuelle Formationen. Aus den Strukturen, Schlagwörtern und Rhythmen der Junk-Mails erzeugt er dreidimensionale Modelle, die er als Spam-Architektur bezeichnet. In ihrer expressionistischen Anmutung und konzeptionellen Logik wirken sie gleichermaßen komplex und überschaubar, aggressiv und martialisch, aber auch simpel und redundant.


Alex Dragulscu
Spam Architecture

Bildquelle: http://www.sq.ro/spamarchitecture.php

SPAM

SPAM - Ein Phänomen, das jahrzehntelang, weltweit und millionenfach Menschen belästigt, bedrängt aber auch amüsiert und fasziniert, bleibt auch in der Kunst nicht unreflektiert. Tatsächlich hat Spam längst kreative Prozesse initiiert und Eingang in den intellektuellen Diskurs gefunden.
Beginnen könnte man eine solche Betrachtung mit Arbeiten von Ed Ruscha, der bereits in den 60er Jahren mit dem Thema „Spam“ experimentierte. Irgendwo zwischen „Objet trouvé” und "Ready Mades" beheimatet, thematisieren und entlarven sie Konsumgüter in ihrer manipulativen Konzeption innerhalb der Konsumgesellschaft. „It was only the can and not the contents that inspired me. The word Spam (…) and the sausage shaped letters I thought were beautiful together with that scary yellow (…). The word Spam is similar to the sound of a bomb”. (Zitat Ed Ruscha)



Ruscha, Edward
Spam Study (for Actual Size)
Oil on canvas
3 3/8 x 3 3/4 inches

Bildquelle:
http://www.ubs.com/4/artcollection/the-collection/a-z/ruscha-edward-156/spam-study-for-actual-size-747/index.html