Dienstag, 31. August 2010

Der Virus als soziales Kunstwerk

In der globalen Mediengesellschaft wurden dem Massenphänomen Spam immer mehr Initiativen gewidmet, die ihn als Ausdrucksform, womöglich Ausfluß, unserer Gesellschaft begreifen und ihm eine „höhere Wahrheit“ zugestehen. Dabei ist es wohl die ständig wachsende Penetranz, der ...ansatzweise anarchische Duktus und die zuweilen aufscheinende Kreativität der Massenmails, die Künstler dazu motiviert, diese zu einer Grundlage für künstlerische Umformungen zu nutzen. Spam-Art eröffnet keinen neuen ästhetischen Diskurs, womöglich aber eine neue Kategorie innerhalb der sog. Medienkunst. Sie wird durch ihren eindeutigen Bezug auf Massenmails und die damit verbundenen gesellschaftlichen Kommunikationsmechanismen bzw. technischen Prinzipien charakterisiert. Die direkte oder indirekte Reaktion auf globale Kommunikationsmuster, der Bezug auf technische oder ästhetische Aspekte und der Zugriff auf Informationen mit globaler Verbreitung und Wertigkeit verleiht dieser Kategorie ein eigenständiges Profil. Dabei tut sie dies nicht notwendigerweise auf spektakuläre Weise, ja ist sogar nicht zwingend digital. Im Vordergrund stehen nicht die (Medien-)Technologien an sich,, sondern deren Wirkungsweisen.
So sind in diesen Kontext auch Artefakte einzureihen, die nur einen periferen Bezug zu den Massenmails und ihrer technischen Konditionierung haben. Ein Beispiel hierfür ist Computervirus „biennale.py“, der 2001 auf der 49.Biennale in Venedig im slowenischen Pavillon präsentiert wurde. Die Künstlergruppen epidemiC (http://www.epidemic.ws/) und 0100101110101101.ORG (http://0100101110101101.org/) hatten einen funktionsfähigen Virus geschrieben und die „Ästhetik des Source Codes“ in die Tradition des Dadaismus gestellt: „A virus is usually considered evil, chaos. But what happens when it is a contemporary art temple to spread the chaos? (…)The creation of a virus tout court, free and without an end or a goal, is in the worst case a test, a survey on the limits of the Net, but in the best case is a form of global counterpower, generally a pre-political form, but that resists the strong powers, it puts them under a new balance, it shakes and reassembles them. A new idea of a "virus that is not just a virus" is gaining acceptance, and that it can represent the outbreak of the social into the most social thing of all: the Net.”

Der Virus als soziales Kunstwerk, als digitaler Ausdruck des politischen und ästhetischen Widerstands. Zur Hinterfragung des Netzes als technisch gewordene Utopie der Moderne zitierten die Macher schließlich den französischen Medientheoretiker Jean Baudrillard (Cool Memories, 1989): „Within the computer web the negative effect of viruses is propagated much faster than the positive effect of information. That is why a virus is an information itself. It proliferates itself better than others, biologically speaking, because it is at the same time both medium and message. It is the ultra-modern form of communication“.

biennale.py

Bildquelle: http://www.epidemic.ws/biannual.html

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